Well Known Stranger
© Jennifer Scherler - www.jenniferscherler.com

Well Known Stranger – Will ich nur spielen oder will ich verletzen?

Seit Ende Februar schwirrt eine Gestalt namens Well Known Stranger durch die Sozialen Medien. Um Musik geht es, düstere Texte, gebrochene Herzen. Die Dunkelheit scheint die liebste Tageszeit von Well Known Stranger zu sein. Verständlich, dann herrscht Stille und die Mystik um das Projekt nimmt langsam eine vage Form an. Wir haben mit Well Known Stranger geschrieben. In Englisch, versteht sich und ohne jegliche Ahnung ob wir mit einer Frau, Mann oder beidem sprechen.

Well Known Stranger – du scheinst die Dunkelheit zu lieben, was fasziniert dich an ihr besonders?

Es ist die Mischung zwischen triefender Angst und schweisstreibender Faszination, welche die Dunkelheit aber auch allgemein vom Dunkel erfüllte Dinge wie auch Persönlichkeiten mit sich tragen. Schwarz auf Schwarz, Weiss auf Weiss. Durch eigene Abgründe bin ich immer wieder in Situationen oder an Personen geraten, die genau dieses nachtschwarze Feuer mit sich brachten. Zu Beginn war ich solchen Dingen mit Angst und Panik begegnet, doch je länger desto mehr wurde aus Angst eine treibende Faszination. So intensiv, dass ich diese Liebe zur Dunkelheit mittlerweile so im Griff habe, dass ich sie wie einen On/Off-Schalter bedienen kann. Sprich: Es liegt in meinem Entscheidungsraum, ob ich diese Seite auslebe und auch wie intensiv. Will ich nur spielen oder will ich verletzen? Will ich Dunkles mit Dunklem bekämpfen oder geht es vielmehr um Licht und Heilung? Oder ist das Ganze nur ein Spiel mit dem Feuer? Wer weiss. Teilweise weiss ich selber nicht mehr, wo das hier hinführt. Nur eines weiss ich: Am Ende dieses Weges wartet ein rettendes Licht und eine warme Umarmung. Denn schaden will ich niemandem, auch mir selber nicht. Diese Zeiten sind längst vorbei.

Dein Insta Feed glänzt in einem schwarzen Look und zieht das Konzept “links schwarz, mittig ein Bild, rechts schwarz” durch. Hast du einen Ordnungszwang oder woran liegt dieses schon fast zu saubere Auftreten?

Ordnung im Leben, das ist mir wichtig. Doch einen Zwang mache ich daraus nicht. Problemlos kann ich auch mal aus dem Haus, wenn nicht alles erledigt und säuberlich aufgeräumt ist. Meistens. Es gibt Momente, da verlasse ich meine eigenen vier Wände erst, wenn alles an seinem Platz ist. So halte ich es auch mit meiner Psyche: Jeden Morgen schaue ich nach dem Aufstehen in den Spiegel und blicke mir direkt und intensiv in die Augen. Wenn ich dabei merken würde, dass etwas nicht in Ordnung ist, mich sozusagen noch nicht gesammelt habe, dann gehe ich nicht unter die Leute. Denn dies würde mit meiner Art nicht nur mir, sondern auch meinem Umfeld schaden. Oder gar wildfremden Leuten im schlimmsten Fall. Und ich rede hier nicht von Gewalt im handfesten Sinne, es geht um Worte und Gesten, mit welchen ich Leute in den Wahnsinn treiben kann, wenn ich selber nicht bei mir bin. Darum: Ordnung im Leben, im Kopf und im Geiste. So fühle ich mich rein und sauber, denn schmutzig und kaputt durch die Welt wandern würde ich nie und nimmer. Aus Respekt vor mir selbst nicht, aber auch damit meine Mitmenschen ruhig durchs Leben ziehen können.

Well Known Stranger
Jennifer Scherler – www.jenniferscherler.com

Nebst dem dunklen Farbschema kommen deine Texte fragend und endlos vor. Hat es in deinem Herzen noch Platz für Leichtigkeit oder fühlst du dich dem grossen Ganzen (wenn man überhaupt weiss was dies genau ist…) eher verbunden?

Leichtigkeit – ein Wort, dass ich umgarne und umarme. Ohne sie wäre dieses Projekt, beziehungsweise dieser Heilungsprozess, gar nicht möglich. Wenn ich stets nur schwarz denken würde und mich in Tristesse suhlen würde, käme das hier nicht vorwärts. Ich käme nicht vorwärts. Nicht heute, nicht morgen, nie. Darum gibt es hier nicht das grosse Ganze, sondern vielmehr Schwarz und Weiss. Es gibt auch Zeiten, da gibt es Graustufen, ein Zwischendrin. Schliesslich ist bei Niemandem immer nur alles gut oder schlecht. Weder im Privatleben, noch auf der Arbeit, noch in der Ausbildung. Viele Leute vergessen, dass sich die Welt nicht alleine um sie dreht. Und vor allem, dass sich die Erde auch weiter dreht, egal ob sie etwas bewegen in ihrem Leben oder nicht. Ich habe vor Jahren aufgehört einfach stillzustehen und zu jammern. Denn das Mitleid Anderer finde ich in zu grossem Ausmass eine scheussliche Sache. Es macht einem eher klein und lässt einem nur noch verlorener wirken in einer Welt, die sowieso schon kaputt genug wirkt. Und mit Selbstmitleid will ich erst gar nicht anfangen. Pures Gift für die eigene Persönlichkeit und der beste Weg auf Dauer alleine und einsam zu enden. Ohne Würde und ohne Selbstachtung.

Bei deinem Snippet zu Own schimmern mir Bilder eines lauwarmen Hagebutte Tees in einer sonnigen Stube auf. Wie kommt es, dass dein Auftritt derart ein Gegensatz zu deiner Stimme ist?

Schöner Vergleich, ich mag Tee besonders. Vor allem beruhigenden und solchen, den es gerne mal zehn bis fünfzehn Minuten abzuwarten gilt. Und die Sonne, ein Segen. Ohne sie wäre ich wohl längst nicht mehr hier. Ruhe und Sonnenschein haben mir schon oft aus tiefstem Schwarz geholfen und mich auf meinen Lebensweg zurückgebracht, wo ich dachte, es sei alles vorbei und zerstört. Vor allem ich selber. Denn in Situationen ohne Sonne oder Frieden werde ich masochistisch, suche das Leid, suche die Schmerzen, wühle in den Abgründen Anderer wie auch meinen. In all dem ist auch Musik eine Waffe gegen dieses Schwarze und Zerstörerische. Auch wenn ich von Klassik über Metal bis hin zu sanften Singer-Songwriter Klängen alles gerne höre, finde ich mich in meiner eigenen Musik am meisten. Doch auch dort fliessen all diese Stilrichtungen und Emotionen mit ein, aber mehr Eindrücke fürs Ohr folgen. Keine Angst.

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Allem Anschein nach gehört Bern zu deinem Bewegungsradius. Doch kürzlich hast du uns ein Bild von Wiedikon via Instagram gesendet. Wo ist deine Heimat, wo fühlst du dich wohl?

Bern, Zürich, Basel, Luzern, Biel, Solothurn, St. Gallen, Baden, Aarau, Winterthur, Olten…was es auch immer sein mag, mein Bewegungsradius ist gross. Auch wenn es um Länder geht, bin ich mal hier mal da. England, Schweden, Spanien, Deutschland, Holland oder der arabische Raum. Die Schweiz ist zwar schön, doch mich zieht es meist in den Norden. Kälte und Dunkelheit. Oder wenn es mir nach Sonne dürstet und erfrischender Meeresluft verliere ich mich auch gerne in die andere Himmelsrichtung. Italien statt Schweden, Wellen statt Schnee, Rotwein statt Tee. Und vor allem auch heissblütige Liebe, statt eiskalte Herzen. Was ich bin, nennt man wohl heimatlos. Doch ich bin vor allem eines, wenn es mir nicht allzu gut geht: rastlos. Nicht verzweifelt, sondern vielmehr auf der Suche nach Antworten. Und auch wenn dies teilweise verzweifelt wirken mag, weiss ich doch grösstenteils genau was ich tue. Wohl fühlen kann ich mich. Dies ist jedoch nicht vom Ort an sich, sondern von den Menschen und ihrer Aura abhängig. Herrscht Frieden und Ruhe oder herrscht Krieg und Angst? Beides hat seine Faszination, nur liefere ich mich nicht dem Krieg aus, wenn ich mich selbst in einem mit mir selbst befinde.

Bald werden die Tage länger, die Temperaturen wärmer und die Nächte kürzer. Bei deinem eher kalten und düsteren Auftritt muss dir die Hitze ein Dorn im Auge sein… Wie stehst du zum Sommer?

Im Gegenteil, Hitze und Feuer sind mein Antrieb. Ich liebe es, wenn mir der Schweiss regelrecht auf der Stirn perlt und ich vor lauter Adrenalin sowie einem Hauch Panik zum menschlichen Wasserfall werde. Weder ich noch das hier ist abhängig von Jahreszeiten, Temperaturen oder Mondstellungen. Klar, wer Hirn und Köpfchen hat, wird gemerkt haben, dass auch mit solchen Kriterien gespielt wird. Aber ein Wesen der Nacht bin ich nur in der Nacht. Am Tag lache und strahle ich wie die Sonne. Ausser jemand versucht mir mein Glück zu rauben, dann kann ich ihm gut und gerne das Leben zur Hölle machen. Nicht im gewaltvollen Sinn, sondern mehr auf einer sehr feinen, verletzend-schönen zwischenmenschlichen Ebene. Denn ich musste selber bereits genug einstecken. Nicht nur Frauen können sich in herzlose Racheengel verwandeln. Wenn ich will, kann auch ich zum Unmenschen werden. Nur lebe ich diese Seite schon lange nicht mehr aus. Mir geht es nicht um Leid und Schmerzen, auch nicht um Rache oder Vergeltung. Ich spiele einfach gerne mit dem Feuer. Verbrennen tun sich jedoch nur die Personen die Finger, welche sich zu sehr mit mir beschäftigen.

Deine Stickers zieren aktuell einige Toiletten, wie unter anderem jene des Schiffbaus. In welchem Club treibst du dich am liebsten herum?

Überall und nirgends. Ehrlich gesagt kann ich gut auf irgendwelche Menschen um mich herum verzichten, da bin ich eiskalt. Mir liegen meine engsten Freunde und natürlich meine Familie, mein eigen Fleisch und Blut, am Herzen. Ansonsten laufe ich wem auch gerne mal davon, wenn ich merke, dass er nur von meiner Energie und meinen Nerven zerren will. Oder meine Stärke in eine Schwäche drehen möchte. Denn wer versucht mit mir zu spielen, der hat eigentlich schon verloren. Gib mir eine Viertelstunde Gespräch mit einer Person und ich sage dir, ob du ihr vertrauen kannst oder lieber davonrennst. Und zwar teilweise lieber gleich für immer. So halte ich es: Es gibt Gesichter auf meinem bisherigen Lebensweg, die will ich nie mehr sehen. Nicht weil ich Angst vor ihnen habe, sondern weil sie mich nur von meinen Zielen und Träumen abgehalten haben. Oder es immer noch versuchen. Provokation ist das Wort hierzu. Wer mir damit kommt und mich ausbremsen will, der hat viel mehr am Hals, als mich alleine. Nur drohen tue ich nicht, ich bin ehrlich und direkt. Gegenüber jedem. Bei mir hat Jeder eine zweite Chance. Wenns sein muss auch eine dritte. Nur wer es nach zig Malen nicht kapiert hat, der hat meinen Rücken zum letzten Mal gesehen beim Davonlaufen.

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Ein Eimer voller Geheimnisse und portionsweise Enthüllungen sind dein Ding. Wie schlägst du dich in einer Liebesbeziehung? Ebenfalls bedeckt und mysteriös oder intensiv und verlockend?

Geheimnisse machen das Leben spannender und bringen schön dosiertes Adrenalin mit sich. Wenn es um die Liebe geht, halte ich mich bedeckt. Vor allem wenn es um Namen oder Details geht. Sei dies nun die Liebe im Alltag oder die Liebe im Bett. Oder auch die Liebe zu sich selber. Ob ich mich hasse oder liebe ist mir überlassen und nur ich weiss, wie mein Selbstbild aussieht. Alles andere würde mich zu einer Zielscheibe machen und dieses ganze Projekt gefährden. Aber es gibt in dem ganzen Prozess eine Person, die das Ganze endgültig ins Rollen gebracht hat. Mich sozusagen an den Point Of No Return getrieben hat. Ich nenne sie zu ihrer Sicherheit, in der sie sich momentan noch wiegt, nicht bei ihrem Namen. Nennen wir sie einfach La Diabla. Denn sie ist nicht nur der spanischen Sprache verfallen, sondern pflastert ihren Lebensweg auch gerne mit Leichen. Hauptsächlich männlichen und immer aus dem selben Kernpunkt heraus: Liebe. Verlorene Liebe, gebrochene Liebe, ausgenutzte Liebe, verführerische Liebe, fehlende Liebe, Vaterliebe, Mutterliebe, zwanghafte Liebe, krankhafte Liebe, heilende Liebe, betörende Liebe, umgarnende Liebe und zerstörende Liebe. Meist aber einfach zerstörend, für sie oder den Mann, der sich leichtsinnig auf sie einlässt und schlimmstenfalls nicht lebendig aus der Sache rauskommt. Und wir reden hier nicht nur von leichtsinnigen Affären, sondern auch langen, Energie und Nerven zerrenden Beziehungen mit Tiefgang, Tiefsinn und so etwas wie einer Basis. Was ihrerseits jedoch meist fehlt sind Vertrauen, Respekt und aufrichtige Achtung. Vor sich selbst, aber auch gegenüber dem Partner. Oder dem Sklaven. Oder dem Heiler. Oder dem Vaterersatz. Oder dem Betrüger und Lügner. Oder der helfenden Seele. Sie hat schon alles gehabt. Nur wahre und gesunde Liebe, das ist scheinbar ein Unding für sie. Ohne Leid und Abgründe geht es so wie es aussieht nicht. Ohne Frust, Hass und Wut funktioniert sie grundsätzlich nicht. Und ohne psychische oder körperliche Gewalt auf Dauer scheinbar auch nicht. Lässt sie einem dann fallen oder wird verlassen – meistens ist Ersteres der Fall – verfällt sie ihren dunkelsten Zwängen. Alkohol, Zigaretten, lange Nächte, wenig Schlaf, unsinnige Liebeleien und wenig Achtung vor irgendwas oder irgendwem. Auch in diesen Zeiten geht sie über Leichen, nur sie selber kam bis anhin noch nie richtig unter die Räder. Wenn es nach ihr geht, ist sie grösstenteils das Opfer. Doch sie macht sich gerne ihre eigenen Wahrheiten. Wer weiss, vielleicht lernt sie mit der Zeit dazu. Vielleicht auch hier und jetzt. Schlussendlich wünsche ich jedem Einzelnen in unserer tristen Gesellschaft sein vollkommenes Seelenheil, so auch ihr. Doch weder bei ihr noch bei anderen gebrochenen Seelen aus meinem Umfeld liegt die Lösung bei mir. Und das habe ich auch nie behauptet. Letztlich versuche ich durch reine Provokation Abgründe aufzuzeigen, vor denen sich die meisten Leute ansonsten ein Leben lang verstecken würden. Und ja, so etwas macht auf den ersten Blick Angst und kann zu Panik führen. Aber einmal einen Blick auf die eigene dunkle Seite geworfen und schon ist die Angst vor den weltlichen und persönlichen Abgründen einiges gelindert.

Dieses Interview entstand per Mail. Die Antworten von Well Known Stranger wurden von J.T. übersetzt – ebenfalls eine Person die wir nicht kennen.