Tamino
© Dominik Meier

Unergründlich wie die Tiefe des Meeresgrundes – Tamino im Interview

Drei Stunden vor seinem Konzert, bekomme ich die Möglichkeit hinter den Vorhang zu schauen. Tamino im Interview, komisch, berührend oder doch einfach nur stimmig…?

Es gibt solche Tage, da denkt man sich das wird ein guter Tag. Oder das Gegenteil. Am 14. November 2018 war es einfach nur ein nervöser Tag. Ich weiss nicht woran es lag, ich war nervös. Immer wenn ich ein Interview in Englisch habe bin ich nervös, wenn ich so zurück denke.

Zehn Minuten bekomme ich, 18 Uhr ist vereinbart. Ich soll mich bitte kurz vor dem Termin bei dem Tourmanager melden. Gesagt, getan. Auf dem Weg ins Exil schreibe ich ihm eine SMS. Als Antwort kommt kurz „can you come to the side entrance“ und dann gleich nochmals eine „Schiffbaustrasse“.

Auf dem Weg zur Seitenstrasse des Exils gehe ich nochmals meine Fragen durch. Soll ich die letzte wirklich stellen? Sind die anderen nicht doch langweilig? Was fragt man einen Künstler der schon so lange auf Tour ist und immer Interviews gibt. Wie seine Lieblingsunterhose ausschaut? Wohl kaum…

Schnurstracks in den Keller

Tamino
© Ramy Moharam Fouad

Von weitem sehe ich jemanden an die Tür des Seiteneingangs klopfen. Ich laufe ihm nach, ein Techniker wie sich herausstellt. Ein eher grimmiges Gesicht öffnet die Tür, der Techniker räkelt sich an ihm vorbei in die Wärme. Lächelnd frage ich ob er der Tourmanager sei. „Yes, are you here for the interview? Follow me“. Ich folge seinen grossen-schweren, mit meinen kleinen-leichten Schritten.

Die Treppe hinunter links herein, vis à vis von den öffentlichen Toiletten ist der Backstage Bereich. Als erstes sehe ich auf Augenhöhe ein Buffet mit Gemüsesticks und Chips. Der Tourmanager geht den Gang durch und spricht nach rechts mit Tamino. Ich höre nur Wortfetzen und halte mich im Hintergrund. Tamino steht vor einem WC-Spiegel, wäscht sich die Hände und frisiert seine schwarzen Locken. Ob es ein Video Interview sei, fragt er den Tourmanager, nein. Dann verlässt der Tourmanager mit ebenso grossen Schritten den Backstage Bereich.

Ich ziehe meine Jacke aus, schaue mich im Raum um, die Regale sind gefüllt mit Filmkassetten. Sekunden später trifft Tamino ein. Das ist er also. Dieses gewaltige Stimmtalent, mit einer derartigen Ausstrahlung die niemand fassen kann, steht direkt vor mir.

Der Schein trügt

Währenddem er „Tamino“ sagt, streckt er mir seine Hand entgegen. Ein extrem lockerer Handschlag, es fühlt sich wie ein toter Fisch an. Ich stelle mich ebenso vor, lächle ihm zu, er guckt mich mit einem gelangweilten Blick an. Ok, jetzt nur nicht dumm quatschen. Und was mach ich? Ich quatsche dumm herum, wie immer wenn ich in einer Situation bin, die ich nicht einschätzen kann. Ich rede mein Gegenüber in den Boden. Jetzt reiss dich zusammen, denke ich.

Währenddem ich mein Handy und das Mikrofon auspacke und ihn über seine Anfahrt ausfrage, schält er sich geschmeidig eine Mandarine. Nimmt den ersten Biss und schaut mir zu, wie ich das Mikro teste. Ich erkläre kurz wie es ablaufen wird und übergebe ihm das Mikrofon. Er spricht kurz darauf rein „yea, yea. Check one, two“ und ein Lächeln kräuselt seine Lippen.

Erwartungsvoll streift seinen Blick den meinen, seine Pupillen sind kaum erkennbar. Er hat unergründlich dunkle Augen, mit dem dämmrigen Licht das hier im Backstage Raum herrscht, scheinen sie fast schwarz. Vor gut einem Monat hat Tamino-Amir Moharam Fouad, alias Tamino, sein Debütalbum Amir veröffentlicht. Es hagelt durchwegs positive Kritik. Die JournalistInnen sehen in ihm einen zweiten Jeff Buckley oder Leonard Cohen.

2017 veröffentlichte er seine erste  Single Habibi und die EP Tamino in den Benelux Ländern. In diesem Jahr gewann er auch eine Talentshow des Radio Senders Studio Brussel namens De nieuwe van lichting. „Ich bin nun seit gut zwei Jahren auf Tour. Immer wieder mit Pausen dazwischen. Es gibt Momente die ich mag, aber auch Teile die mir weniger zusagen“.

Die talentierte Familie

Bereits sein Grossvater war Sänger und Schauspieler, Moharam Fouad aus der goldenen Zeit. Ebenso sein Vater, Tarek Moharam Fouad, geniesst die Welt der Töne. Doch ein Familienmitglied scheint besonders verbunden mit Tamino zu sein. Ramy Moharam Fouad, sein jüngerer Bruder. Dessen Welt ist die des stillen und bewegten Bildes. Die Videos zu Cigar, Peresphone und der neuste Clip Tummy stammen von Ramy. Ebenso die Bilder und Mitschnitte des Touralltages. „Ramy ist nicht bei allen Konzerten dabei. Ich wünschte ich könnte ihn immer dabei haben, dafür ist er mittlerweile zu teuer. Es ist aber wichtig, finde ich, jemanden aus der Familie dabei zu haben. Das stärkt die Mitte“ während dieses Satzes schaut Tamino lächelnd zur Tür. Sein weisses T-Shirt hängt übergross von seinen Schulterknochen herunter.

Gefühl schlägt gelerntes

Während ich meine nächste Frage stelle blickt er mich kurz an. Ich will gerne wissen, ob seine zwei Jahre bei einem Konservatorium in Amsterdam ihm bei der Aufnahme von Amir geholfen habe. „Ich singe seit ich ein kleines Kind bin. Meine Mutter liess Musik Zuhause laufen und ich sang dazu. Mit zehn Jahren habe ich das erste Mal bewusst Musik gespielt. Damals war es ein klassisches Klavierspiel. Diese Zeit hat mir auch vor Augen geführt, dass die klassische Musik nichts für mich ist. Ich liebe klassische Musikstücke, ich meine ich liebe alle Arten von Musik und auch ebenso die Geschichte dazu. Das damalige Ziel, die Musik so präzise und genau zu wiedergeben, war nichts für mich. Ich habe die Erfüllung erst mit meinen eigenen Erfahrungen gefunden. Ein Instrument in die Hand zu nehmen und den Gefühlen freien lauf zu lassen. Darum kann ich nicht sagen, ob mir das geholfen hat. Was sicher ist, dass die interessanten Sachen erst hervortreten, wenn man sie selber ausprobiert“.

Ich nehme einen Schluck Wasser, gucke kurz nach rechts. Tamino sitzt gegenüber von mir und antwortet bereits wieder. Sein Blick ist nach rechts unten gewandt, wie beim kompletten Gesprächsverlauf bisher. „Alle Lieder die auf dem Album sind, bedeuten mir etwas. Sonst wären sie nicht auf dem Album“ – keine Favoriten, ok, hätten wir das auch geklärt…

„Ich denke, ich bin einfach nur das Gefäss der Musik“

Bei seinem letzten Konzert in der Schweiz, am Montreux Jazz Festival, erlag die komplette Halle seinem Charme. Es fühlte sich an, als sei er ein Schlangenbeschwörer. „An meinen besten Tagen fühle ich vermutlich das gleiche wie das Publikum, was hoffentlich eine Transzendenz ist. Das passiert, wenn wir wirklich an nichts denken, wenn wir uns der Musik komplett hingeben. Ich fühle mich jedoch nicht wie die Quelle dieser Transzendenz. Es ist immer die Musik und der Austausch der Energien, zwischen dem Publikum, mir und allen involvierten Personen im Raum. Ich denke, ich bin einfach nur das Gefäss der Musik. Nicht ich bin der Schlangenbeschwörer, es ist die Musik selbst, kombiniert mit der Bereitschaft der Leute sich hinzugeben.“

Von weit hinten dringen die dumpfen Töne des Soundchecks von Tanya Barany durch die Mauern. Tamino isst einen weiteren Mandarinenschnitz. Seine Antworten und sein Blick wirken sehr mystisch. Ist seine Musik etwas für den Körper, den Verstand, das Herz oder doch die Seele? „Die Leute können meine Musik hören wie auch immer sie das wollen. Ich habe meine eigene Theorie, dass meine Lieder sich nicht gut als Background-Musik eignen. Zum Beispiel bei einem Nachtessen mit Freunden, da passt meine Musik weniger, denke ich. Aber auch dann gilt, wenn der Hörer das will, ist das gut so. Ich denke der beste Weg um meine Songs zu hören, ist sich hinzusetzen und richtig einzutauchen. Zuerst soll man es fühlen, ich mein richtig fühlen. Und danach kann man das gehörte analysieren, das kann man wunderbar mit dem Verstand machen. Wenn ein Hörer meine Musik auseinander nimmt, hört er vermutlich die verschiedenen Schichten heraus. Und eventuell kann er sich dann auch mit der Musik selbst reflektieren. “

Wie die Tiefe des Meeres

Tamino
© Ramy Moharam Fouad

Zwischendurch wirkt Tamino fast verletzlich, am liebsten würde ich ihn umarmen und sagen es sei alles gut.

Wenn er lächelt wirken seine Augen trotzdem traurig. Teilweise habe ich auch das Gefühl, dass er in einer anderen Welt steck, als der Rest der Menschheit.

Das Element Wasser wird auf vielen Fotos und dem Artwork von Amir aufgegriffen. Ich bin mir unsicher ob ich ihm diese Frage überhaupt stellen soll. Ich mache es trotzdem. Welches Element widerspiegelt seine Persönlichkeit am ehesten? „Oh, diese Frage hat mir noch nie jemand gestellt. Coole Frage, danke das du fragst“ – ja das hab ich mir gedacht, es kommen wohl die wenigsten darauf so etwas zu fragen – ob gut oder schlecht, lass ich mal im Raum stehen… Seine Mundwinkel zeigen auf alle Fälle nach oben. „Ich würde schon als erstes an Wasser denken. Wasser ist von allen Elementen das unberechenbarste für mich. Es gibt tiefes Wasser. Wasser hat Tiefe. Auch fliessendes Wasser. Man kann im Wasser auch ertrinken…“

Nach knapp elf Minuten ist es vorüber. Tamino isst die letzten Schnitze seiner Mandarine. Währenddem ich in meiner Jacke hängen bleibe, merke ich wie sein Blick auf mir ruht. Ich erzähle ihm von Zürich und unserem schönen See. Wenn das Wetter mitmacht und er morgen Zeit hat, empfehle ich ihm dort kurz anzuhalten. Nach einer gefühlten Stunde schaffe ich es dann doch noch in meine Jacke. Er steht auf, lächelt kurz und hält mir seine Hand hin. Ich verlasse den Backstage Raum und sein Tourmanager tritt zackigen Schrittes hinein.