Chräen Openair 2017
© Roger Ernst

Wie ich Frieden mit der Musik geschlossen habe

Bei mir zu Hause, gleich um die Ecke, findet seit dreiunddreissig Jahren das Chräen Open Air statt. In einem Akt von Selbstüberschätzung oder war es Euphorie, habe ich mich entschlossen, darüber zu schreiben.

Ein Artikel von Gastautor Roger Ernst

So bin ich am 17. Juni 2017 zum Platz hochgepilgert, um zu erleben wie für die Chräen gesungen wird, oder singen etwa die Chräen? Auf jeden Fall war die Vorfreude auf Baby Jail schon riesig und die restlichen Bands kenne ich eh nicht, what else.

Auf dem Gelände angekommen, wird mir schnell klar, dies ist kein schickimicki Openair. Dies ist
etwas handfestes, währschaftes und hemdsärmliges für Gross und Klein, familienfreundlich bis zum abwinken. Mit einem grandiosen Ausblick auf das schmucke Neftenbach, vom Duft von Bratwurst, Steak und Hamburger umgeben, geht es nach der Schülerband (ihr erster Gig ist schon richtig gut) auf zwei Bühnen Schlag auf Schlag.

Gleich mal vorneweg, wer so ungefähr wie ich denkt, dass das Line-Up aus einheimischen Gewächsen, nichts taugt, der wird hier schnell eines besseren belehrt. Das sich auf diesem kleinen Flecken Erde oberhalb Nefti, so endlos viel Talent bewegt, grenzt an eine Offenbarung. Was die Veranstalter hier auf die Bühne gebracht haben, zeugt von einem hohen Grad an Musikverständnis und Mut jungen Talenten eine Plattform zu bieten.

Mein Fazit im Voraus: Prädikat wertvoll, der Geheimtipp fürs nächste Jahr, auf dass viele Menschen hochpilgern, zum Chräen Festival in Neftenbach, dank dem ich Frieden mit der Musik schliessen konnte.

Ich habe aus dem Line-Up fünf Künstler / Bands auserkoren die mich am meisten beeindruckt wie auch begeistert haben und zumindest in mir einen neuen Fan gefunden haben.

Leonie Prater, Bühne Startrampe

Leonie Prater hatte die schon etwas undankbare Aufgabe dieses Musikfestival zu eröffnen. Da stand sie nun auf der Bühne nur mit ihrer Gitarre und Stimme. Dann hat es Zoom gemacht und nach wenigen Sekunden war alles rundherum still und das Publikum in den Sack gesteckt. Wunderschöne Texte, fröhlich, besinnlich aber auch traurig, mit einer Stimme die unter die Haut geht. Mitten ins Herz. Leonie gehört auf die grosse Bühne. (Meine Empfehlung!)

King Contradiction, Hauptbühne

Der König der feinen, leisen, kratzigen Töne, voller Harmonie und Melancholie. Immer irgendwie im Widerspruch. Schwer zu greifen und zu erklären. Nik macht definitiv keinen Berieselungseinheitsbrei, sondern mit seinen tiefgründigen Texten, Sounds und Gitarrenriffs muss man hinhören und sich auseinandersetzen. Erste Sahne und wer aussergewöhnliches liebt, unbedingt reinhören. (Meine Empfehlung!)

The Three Sum, Bühne Startrampe

Was diese Jungs auf der Startrampe zu suchen haben, ist mir schleierhaft. Die gehören definitiv auf die Hauptbühne. Ihr Sound kommt als, ich sag mal popig punkig daher, knallt einem in die Ohren und lässt die Beine jucken. Wer hier stillsitzen kann ist taub oder sonst was. Die Jungs machen eine Musik die pure Lust Lebensfreude vermittelt. Wäre ein Tatoostudio vor Ort gewesen… (Meine Empfehlung!)

Delation, Hauptbühne

Der Abgesang dieser Formation. Ihr letzter Gig auf diese Musikparty geplant.
Jedenfalls noch einmal alles gegeben.

Depat72, Bühne Startrampe

Bündner Sprechgesang. Witzige und pointierte Texte. Good Rapp. Die Richtung stimmt, weiter so

Baby Jail, Hauptbühne

Was soll man zu dieser Legende noch sagen! Nur so viel; Die Kampfansage an die Jungen. Die Oldies gehören noch immer zum Besten, was die Schweizer Musikszene zu bieten hat, im Besonderen die Liveauftritte.

ZAP, Bühne Startrampe

Zen Approved Protagonists, kurz ZEN genannt, war der Sound nicht, sondern moderner Rock der gefällt. Erst kürzlich gegründet, haben die Jungs und Mädels alles daran gesetzt auf dieser Bühne zu stehen und sind mit einigen wenigen Stücken im Gepäck angereist. Gut gemacht.

Pablo Infernal, Hauptbühne

Welch teuflische Höllenabgründe haben sich hier geöffnet. Ein Déjà-vu der gröbsten Sorte.
In meinem Hirn blitzten plötzlich Nazareth, Uriah Heep und Deep Purple auf, die endlich in die Moderne gebeamt wurden. Welche Urgewalten Altin Asllani mit seiner Stimme auslöste, wurde noch durch fetzige Gitarrenriffs, Basslines und dem Drummer mit einer unglaublichen Präzision verstärkt. Die spielen kurze knackige Stücke, Balladen, aber auch endlose Jams. Nutzen gekonnt Rückkoppelungen und bringen ganz einfach das Publikum zum Toben.

Nicht umsonst sind diese Jungs vom SRF umgarnt und ihr Debut Album wurde 2016 zum besten Rock Album gekürt.
Ein versprechen für die Zukunft des CH Rocks, da würde sogar der Herr von Rohr sich ein Tränchen wegwischen, denn hier wird dem immer wieder totgesagten Rock’n Roll neues modernes Leben eingehaucht. (Meine Empfehlung!)

HIELO, Bühne Startrampe

Da kommt stimmiger und harmonischer, punkiger Rock rüber. Guter mehrstimmiger Gesang, tolle Riffs, Sound der Spass macht. Nach dem vorherigen Kracher auf der Hauptbühne ist es den Jungs gelungen, nicht abzufallen und den Stimmungspegel weiter hochzuhalten. Congrats. Auch hier kann ich nur empfehlen, holt euch die EP und habt Freude. (Meine Empfehlung!)

THE MOORINGS, Hauptbühne

Wenn ich nochmals heiraten würde, die wäre meine Partyband. Nach diesen Stunden der musikalischen Erfüllungen, der absolute Stilbruch. Schockierend zunächst, dann aber hallo! Auf die Tische und zu Irish-Folk Rock abgefeiert. Hier hat definitiv das Guinness gefehlt, was der Stimmung jedoch keinen Abbruch tat.

Pedestrians, Hauptbühne

Reggae lässt wieder alte Zeiten hochleben. Bob Marley und Peter Tosh, die Ikonen des Reggaes, haben bei mir die Erwartungshaltung sehr hoch geschraubt. Und ich muss sagen, diese Jungs haben mich keine Sekunde enttäuscht. Der Vibe ist gesprungen wie der Funke eines Lagerfeuers…

Ein toller Abschluss eines wunderbaren Musikfestivals. Ich habe meinen Frieden gefunden.